„Es war ein Massaker; man schoss auf uns, um uns zu töten“

Während der Totenwache für den ehemaligen Arbeiter der ISA, der von der Polizei getötet wurde, beschimpfte man den politischen Sekretär der FSLN als „Mörder“. Hunderte ehemaliger Zuckerrohrarbeiter, deren Tage wegen der IRC-Epidemie gezählt sind, fordern eine Antwort.

In dem Artikel wird berichtet, dass Dutzende ehemaliger Arbeiter der Zuckermühle Ingenio San Antonio (ISA) vor vierzehn Tagen mit neuen Protestaktionen begonnen hatten, um eine Entschädigung in Höhe von 26.800 Dollar für jeden von ihnen zu erhalten. Sie alle sind an einer Lungenkrankheit (Insuficiencia Renal Crónica, IRC) erkrankt, die die männliche Bevölkerung von Chichigalpa dezimiert. Insgesamt erheben 479 ehemalige Arbeiter, die einer Organisation ehemaliger Arbeiter von ISA angehören, diese Forderung.
Am 11. Januar gelang es den Demonstranten mit Vertretern der FSLN und der örtlichen Behörden zu einer Einigung zu kommen. Man sagte ihnen zu, als Vermittler in den Verhandlungen mit der ISA zu fungieren. Als Gegenleistung waren die Demonstranten bereit, nicht mehr länger den Zugang zum Werk zu blockieren. Allerdings setzten sie ein Ultimatum bis zum 18.Januar. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt nichts geschehen, würden sie den Zugang wieder blockieren.

Es geschah jedoch nichts. Stattdessen tauchten am 18. Januar Sondereinsatzkräfte der Polizei auf. Die ersten vier, die ankamen, griffen zur Pistole und eröffneten das Feuer auf die Demonstranten. Dabei töteten sie Juan de Dios Torres und verletzten einen 14 jährigen Jungen.

Die Geschäftsleitung des Ingenio San Antonio bestreitet, dass es irgendeine Verhandlung über Entschädigungen zwischen ihr und den ehemaligen Arbeitern gegeben habe. Grund sei, dass keine der bisherigen wissenschaftlichen Studien einen direkten Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Beschäftigung bei ISA ergeben habe. Bezüglich einer Vermittlung des politischen Sekretärs der FSLN und des Bürgermeisters von Chichigalpa in dem Streit erklärte der Sprecher der ISA: „Mag sein, dass sie ihnen irgendeine Art von Hilfe angeboten haben, aber sie sind weder unsere Vermittler, noch haben sie mit uns gesprochen, da es ja auch keine Verhandlungen gibt.“

Bis heute konnten die Experten die Ursachen der IRC-Epidemie nicht herausfinden, die hauptsächlich Männer mittleren Alters in Mittelamerika befällt. Einige Experten vermuten, dass es die Arbeitsbedingungen in den Plantagen sind, wo die Arbeiter Temperaturen von 40 Grad ausgesetzt sind und dehydrieren. In Nicaragua starben nach Angaben der Weltgesundheitsbehörde 2009 3.442 Männer an dieser Krankheit,  in El Salvador waren es 6.974, in Guatemala 4.946 und in Costa Rica 874.

Am Abend versammeln sich die Menschen in Chichigalpa zur Totenwache. Einer der Nachbarn erkennt den politischen Sekretär von Chinandega, der sich nähert, um der Familie des Toten zu kondolieren. Die Menge empfängt ihn mit Rufen: „Wenn es hier noch mehr Tote gibt, dann ist das eure Schuld“. „Ihr seid die Schuldigen“ „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit“ rufen andere. Als er wieder geht sagt er noch: „Wir sehen das Problem“.

Osmar Guerrero Díaz, ein ehemaliger Zuckerrohrzähler der ISA, kann seine Wut angesichts der Anwesenheit des politischen Sekretärs der FSLN bei der Totenwache nicht verbergen. Der Mann hatte am Samstag an der Protestaktion teilgenommen. Er sagt: „Die Firma hat die Polizisten mit Zustimmung der Politiker auf uns losgejagt“. „Sie unterdrücken uns, damit wir nicht für unsere Rechte kämpfen“, sagt der Mann, der an 36 Zuckerrohrernten, d.h. 17 Jahre lang für die ISA gearbeitet hatte. „Im Sommer und im Winter arbeitete ich für die Firma“. Danach habe man sie wie die Hunde auf die Straße geworfen. „Die Ärzte sagten mir, da gebe es keine Heilung, nur den Tod“.

Díaz berichtet, die Nicaraguanische Vereinigung der Freunde und der an der chronischen Atemwegserkrankung Leidenden von Chichigalpa habe bereits vor über einen Jahr eine Klage gegen die ISA beim Gericht von Chinandega eingereicht. Bis heute habe es von dort jedoch keine Reaktion gegeben. „Die Richter und Anwälte, alle erhalten Schmiergelder von der Firma“, sagt der Mann. Man habe sich entschlossen unter Vermittlung der FSLN, des Bürgermeisters von Chichigalpa und der Polizei direkt mit der Firma zu verhandeln. Ihre ursprüngliche Forderung von 180.000 Dollar pro Erkrankten habe man auf 26.800 Dollar herunter geschraubt. Man habe sich dann am 11. Januar zusammengesetzt, aber von der ISA sei niemand erschienen. Man habe daraufhin die Aktionen bis zum 18.Januar ausgesetzt. Als wieder nichts geschah, sei man wieder vor das Werkstor gezogen, bis die Polizei kam und auf die ehemaligen Zuckerrohrarbeiter schoss. “Wir werden unseren Kampf weiter fortsetzen, bis uns die Zuckerrohrmühle entschädigt, denn sie sind die schuldigen“. Neben ihm rufen die Menschen: „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit“.

Das Rathaus von Chichigalpa ist innen erleuchtet. Niemand darf es betreten. Die Vizebürgermeisterin eilt zu einer Sitzung. Auf die Fragen von Confidencial gibt sie keine Antwort und entschuldigt sich damit, man würde im Stadtrat darüber beraten. Auch die Polizei von Chichigalpa gibt keine Auskünfte. Der dortige Polizeichef erklärt, hierzu nicht befugt zu sein. Auch der Bürgermeister ist nirgends erreichbar, weder bei sich zu hause, noch bei seiner Mutter, die in einem Schaukelstuhl auf dem Gehsteig sitzt und sagt, sie wisse nicht, wo ihr Sohn sei.

Im vergangenen Mai hatte er noch gegenüber Confidencial erklärt, die IRC bringe seine Gemeinde um. Er helfe, indem er Särge gebe und zu den Totenfeiern das Notwendigste beisteuere. Auf die Frage, was man für die Lebenden tue, antwortete er, das Budget der Gemeinde von 50.000 Einwohner betrage 94 Millionen Córdobas (ca 3,8 Millionen Dollar), davon gingen 50% für soziale Ausgaben ab. Ein großer Teil davon ginge an die Kranken der IRC.
“Das ist eine Tragödie, die die Familien mit Trauer erfüllt“, sagte er damals. „Es ist ein enormer Schlag, denn es ist der Mann, der die Familie ernährt“. „Es muss da eine Anstrengung vonseiten des Staates und des Privatunternehmens geben, damit wir dies gemeinsam schaffen.“

Die Forderung des Bürgermeisters ist die gleiche wie die hunderter von Kranken. Chichigalpa bleibt ohne Männer, aber niemand reagiert auf die Epidemie. Das Drama der Zuckerrohrarbeiter tränkte sich am Samstag mit Blut, als Polizisten das Leben des 48 jährigen Juan de Dios Cortés beendeten, als er eine Beschwerde vortrug, die niemand in Nicaragua hört.

(Nachtrag: Die Zuckerrohrfabrik gehört dem Milliardär Pellas, einer der beliebtesten Persönlichkeiten Nicaraguas. siehe oben. M.R.)
Die Polizisten schossen „auf eigene Initiative“
Auszug aus Confidencial 23-01-14

Die Nationalpolizei erklärte, die drei Polizisten hätten auf eigene Initiative zu den Waffen gegriffen, nachdem sie von Leuten mit Steinen und selbst angefertigten Waffen angegriffen worden seien, die die öffentliche Ordnung erheblich gestört hätten. Nachdem man nun in dem Fall ermittelt habe , habe man die drei Polizisten nun eingesperrt und angeklagt.

Der Leiter der Rechtsabteilung von Cenidh, Gonzalo Carrión, erklärte hierzu: „Der Tod dieses Bürgers wäre ohne den repressiven Befehl nie möglich gewesen. Seit sie sie suspendierten, waren sie sich bewusst (was sie getan haben). Es ist eine kriminelle Repression des nicaraguanischen Staates durch das Organ, das den Befehl ausführte, eine Repression, die von der Polizei und der Regierung angeordnet wurde“.

„Sie wollen sich die Hände rein waschen und diese Polizisten den Tigern zum Fraß vorwerfen. Das ist eine Unverantwortlichkeit. Für niemanden ist es ein Geheimnis, bis wohin die Justiz reicht. Es ist eine halbe Justiz. Die kriminelle Verantwortung liegt nicht nur bei den Polizisten. Die Polizei hat eine Befehlsstruktur und sie kamen nicht auf eigene Initiative dort hin“.

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