„BEVOR WIR STERBEN WOLLEN WIR DIESE UNWÜRDIGE SITUATION BESEITIGEN!“

Heinz Reinke (Nicaragua-Forum Heidelberg)

Am Anfang der Protestbewegung stand ein unfassbares Drama: In Nicaragua sterben tausende nicaraguanische Zuckerrohrarbeiter_innen aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen und der hohen Belastung durch Pestizide. Das Zuckerrohr wird dort u.a. für den Bioethanolexport in die Europäische Union angebaut. Die Arbeiter_innen werden von den Unternehmen in der Regel umgehend entlassen, sobald sich erste Anzeichen der Erkrankung zeigen. In Nicaragua bildeten sich in der Folge verschiedene Selbsthilfeorganisationen der erkrankten Arbeiter_innen. Diese versuchen ihre Ansprüche auf ausstehende Pensionen und Entschädigungen geltend zu machen.Auch Forderungen nach Umstellung auf umweltverträgliche Anbaumethoden wurden erhoben – schließlich finden in ganz Zentralamerika nach wie vor hunderttausende Menschen Arbeit rund um die Zuckerohrfelder.

Demonstration ehemaliger Zuckerrohrarbeiter_innen vor der Konzernzentrale von Pellas in Managua, Nicaragua.
Demonstration ehemaliger Zuckerrohrarbeiter_innen vor der Konzernzentrale von Pellas in Managua, Nicaragua.

Mit Protestmärschen und einem Lager unter freiem Himmel in der Hauptstadt Managua sorgten die erkrankten Zuckerrohrarbeiter_innen des Unternehmens San Antonio für Aufsehen. Sie ließen sich nicht von den Almosen des Konzerns Nicaragua Sugar Estade Ltd. kaufen, sondern beharrten auf direkte Verhandlungen und einer grundsätzlichen Anerkennung ihrer berechtigten Forderungen.

Allerdings kam es – wie so oft – angesichts von Spannungen zwischen Betriebsorganisationen und entlassenen erkrankten Arbeiter_innen sowie einer abwartenden Regierung zur Schwächung der Selbsthilfeorganisation ANAIRC.

Stabiler ist hier die Selbsthilfeorganisation ASOTRAIRC, die rund um El Viejo (Pazifikküste Nicaraguas) etwa 400 erkrankte und entlassene Zuckerrohrarbeiter_innen sowie deren Witwen und Familien vertritt. Die an Niereninsuffizienz IRC (Insuficiencia Renal Crónica) erkrankten Arbeiter_innen waren im Betrieb Monte Rosa beschäftigt, welcher zum guatemaltekischen Zuckerkonzern Pantaleon – dem zweitgrößten Zuckerproduzenten in Nicaragua – gehört. Nach mehreren Besuchen und vielen Gesprächen gelang es die wichtigsten Eckpunkte zur Stärkung von ASOTRAIRC und zur Verbesserung der gesundheitlichen sowie psychosozialen Situation ihrer Mitglieder zu erarbeiten. Mit dem lokalen Gesundheitszentrum wurde ein Aufklärungskonzept über Ursachen und Auswirkungen der IRC für die betroffenen Familien entwickelt und ein medizinisches Ergänzungs-programm zur anfangs völlig unzureichenden Behandlung der Erkrankten vereinbart. Die ehemaligen Zuckerrohrarbeiter_innen verschafften sich durch mehrfache Blockaden und zeitweisen Besetzungen des Betriebes Monte Rosa Gehör. Nach zähen Verhandlungen gelang es kontinuierliche Lebensmittelunterstützung und die Einrichtung einer Nähkooperative zu vereinbaren, in der zukünftig Schutzbekleidung für tausende Erntearbeiter_innen gefertigt wird. Aufgrund der begleitenden Moderation der Regierung erklärte sich der Konzern letztlich zur Finanzierung bereit.

Möglich war diese Unterstützung durch das vernetzte Vorgehen in Folge einer Rundreise von Mitgliedern von ANAIRC durch Deutschland, welche auf dem Höhepunkt der hiesigen E 10 Diskussion stattfand.

Kurz darauf fanden Gespräche mit einem Vertreter der Beschwerdestelle der nicaraguanischen Regierung statt, in denen auf die internationale Aufmerksamkeit hingewiesen und eine aktivere Rolle der Regierung eingefordert wurde. Dies war mitentscheidend für die erwähnten Teilerfolge der Selbstorganisationen. Der größte Schritt steht aber noch bevor und hier sind Regierungen und Zivilgesellschaft in Zentralamerika wie der EU gefragt: Es muss Schluss gemacht werden mit der Produktion und dem Export von cash crops auf Kosten von Mensch und Natur!

Schreibe einen Kommentar