Chichigalpa ist unvergessen

Liebe Freunde,
ich beginne meinen Tag heute um kurz vor fünf Uhr, wie die meisten der Zuckerrohrarbeiter hier in der Region. Schon seit einer guten Stunde hört man die großen Trucks, die auf der nahen Fernstraße nach El Salvador und nach Managua unterwegs sind. Aber auch die Erntewagen voll beladen mit dem frischen Zuckerrohr bringen die Fracht der Nachtschicht, es wird mit den Vollerntern auch bei Nacht gearbeitet, zur Verarbeitung ins Zuckerwerk von San Antonio, Chichigalpa.

Gestern habe ich mit Carmen Rios die erkrankten, ehemaligen Arbeiter und ihre Angehörigen besucht, die am vergangenen Wochenende die Werkseinfahrt blockiert haben. Am Wegrand sind Einheiten der “antimotones“ einer speziellen Polizeieinheit verstreut, um eine neue Blockade und Ausschreitungen zu verhindern. Die Protestgruppe hat sich an dem Ort versammelt, an dem Juan de Dios Torres, 47 Jahre alt, von einer Polizeikugel tödlich getroffen wurde. Ich habe ihnen mein Beileid ausgesprochen, schnell wurde ich aber selbst befragt und interviewt, was man in Deutschland zu diesen Vorfällen sagt und ob so ein Vorgehen auch in Deutschland möglich wäre!

Etwas hilflos habe ich von unserer Arbeit hier in Nicaragua und unserem Bemühen berichtet, die Menschen in Deutschland über ihre Lage und Geschichte und über die Arbeitsbedingungen der Arbeiter zu informieren. Man bringt mich zu Hütten am Rande der Zuckerrohrfelder und ich kann D. und W. zu den aktuellen Bedingungen befragen.

D., 28 Jahre alt, verheiratet, zwei Töchter arbeitet seit 14 Jahren im Zuckerohr. Neun Jahre hat er für das ingenio San Antonio gearbeitet, musste dort wegen seines erhöhten Kreatininwerts aufhören und arbeitet nun für einen Subunternehmer des ingenios Monte Rosa in El Viejo.

„Es ist wahr, dort haben sie die Arbeitszeiten verkürzt, wir arbeiten jetzt von sechs Uhr bis 15 Uhr, also neuen Stunden statt der 12 Stunden wie es früher üblich war. Zu Beginn der Erntezeit machten wir auch drei 20 minütige Pausen, aber inzwischen arbeiten wir wieder durch, wir wollen ja unseren Akkord erreichen. Unser Lohn beträgt derzeit rund 5.000 C$ zweiwöchentlich, so kommen wir auf ca. 400 Dollar im Monat. Gearbeitet wird mindestens sechs Tage in der Woche.“

In San Antonio stehen jetzt Tankwagen mit Wasser bereit, damit wir mehr Flüssigkeit zu uns nehmen, nicht aber in unserem Subunternehmen, wir bringen uns das Wasser selbst mit! Schutzanzüge haben wir keine, nur die Arbeiter die das Gift auf die Felder bringen tragen welche.
Die Flugzeuge fliegen noch immer, einmal bin ich weg gerannt, um mich in Sicherheit zu bringen.
Wenn du das Zeug abbekommst kriegst du keine Luft mehr und die Haut brennt.“

Die Kontrollen, damit die erkrankten Arbeiter nicht mit falschen Ausweisen arbeiten, seien stärker geworden, nicht aber bei allen Subunternehmern, die auch schlechter bezahlen. Aber was solle er denn machen, er müsse doch seine Familie ernähren, deshalb werde er arbeiten, solange es gehe!
D.’s Bruder, er steht etwas abseits, kann schon lange nicht mehr arbeiten. Sein Kreatinwert ist auf über 5 (Normalwert ) angestiegen. Er gehört damit in die Gruppe der schwer Erkrankten, für die es keine Rettung mehr gibt. Alle zwei Monate geht er in das centro de salud, um seine Medikamente zu bekommen. Es geht ihm schlecht, die Krankheit und die Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Wir fahren zurück über eine holprige, schlammige Piste, vorbei an dem neu gepflanzten Zuckerrohr für die nächste Ernte, vorbei am Gesundheitsposten, gegenüber lagert eine Gruppe der „antimotones“ und verabschieden uns von Carmen Rios am Stadtpark. Dort finde ich auf einem Wandgemälde, wahrscheinlich finanziert aus den Steuergeldern, oder Spenden von Pellas, San Antonio den passenden Spruch: „ Nicaragua ist schön, Chichigalpa unvergesslich!“ Jetzt weiß ich, warum ich diese Geschichte heute morgen zu Ende bringen musste, kurz vor sechs, die Arbeit auf den Feldern geht schließlich ja auch gleich los!

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