„DIE GLOBALE NACHFRAGE NACH AGROTREIBSTOFFEN TREIBT KLEINBÄUER_INNEN IN DIE ABHÄNGIGKEIT“

Interview mit Tania Sosa vom Centro Humboldt, Managua/Nicaragua

Frage: Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen haben Agrokraftstoffe?

Tania Sosa: Agrokraftstoffe werden vor allem in Monokulturen angebaut. Diese Anbauweise ruft durch den starken Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Dünger einerseits gesundheitliche Probleme hervor, wie Atemwegserkrankungen und Niereninsuffizienz, und andererseits auch sozial-ökologische, wie die zunehmende Versteppung landwirtschaftlicher Produktionsflächen und die Wasserkontaminierung.

Mit dem Agrokraftstoffboom wird das Anbauverhalten der nicaraguanischen Bäuer_innen zunehmend von den Agrotreibstoff-Unternehmen beeinflusst: Diese pachten die Ackerflächen der Subistenzbäuer_innen und lassen darauf Agrokraftstoffe anbauen. Auf diese Weise versorgen sich die Bäuer_innen nicht mehr autonom; sie haben aufgrund des Anbaus der Agrokraftstoffe keinen Platz mehr für ihre Lebensmittel. Ehemalige Selbstversorger_innen werden also gezwungen, ihre Lebensmittel zu kaufen – und werden dadurch abhängig vom Marktpreis. Da die Unternehmen die Flächen nur pachten, erhalten die Kleinbäuer_innen bei Ernteverlusten oder bei Schädigung der Böden keine finanzielle Entschädigung. Den Kleinbäuer_innenfamilien bleibt dann oft nur die Möglichkeit, das Land zu verlassen und sich eine neue Einkommensquelle zu suchen. Dabei zerbrechen dann auch ihre sozialen Strukturen.

Inwieweit bedrohen Agrokraftstoffe und Landgrabbing die natürlichen Ressourcen der Region?

Die landwirtschaftlich genutzten Flächen in Nicaragua verschieben sich in Richtung Atlantikküste und bedrohen zunehmend natürliche Ressourcen. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Waldflächen, die durch eine extensive Nutzung ihre Fruchtbarkeit verlieren. So verschieben sich die verfügbaren Flächen für den Anbau von Zuckerrohr und Ölpalmen auch in geschützte Gebiete, wie in der Region um Bluefields und in der Region Rio San Juan im Südosten Nicaraguas, wo riesige Mengen Ölpalmen gepflanzt werden. Aktuell gibt es Regierungspläne, in höhere Lagen der Pazifikregion zu expandieren – also da, wo es noch Reste tropischen Trockenwaldes gibt.

Warum wird trotz dieser Auswirkungen die Herstellung von Agrotreibstoffen in Nicaragua so gefördert?

Vor allem aufgrund der globalen Nachfrage: 2007 wurden bereits 25% der Produktion von Agrotreibstoffen in europäische Länder, nämlich Italien, Frankreich, Holland und die Schweiz exportiert. Die EU-Richtlinie erhöht den Anteil von Agrokraftstoffen im Benzin auf 10% bis 2020, wodurch die Nachfrage nach Agrokraftstoffen immens ansteigt. Die 10% -Quote löst Druck auf Länder wie Nicaragua aus, die aus europäischer Sicht günstige Bedingungen haben, vor allem aufgrund „verfügbarer“ Flächen zur Herstellung von Agrokraftstoffen sowie billiger Arbeitskräfte und weniger strenger Umweltvorschriften.

Welche Folgen wird das Assoziierungsabkommen mit der EU für Zentralamerika haben?

Es sind ganz verschiedene Auswirkungen. In Bezug auf ökologische und soziale Belastungen werden die Probleme größer: Die Nachfrage bestimmt die Produktauswahl. Es wird dabei nicht auf sozio-ökologische Konsequenzen geachtet. Die Folge sind dramatische Rodungen geschützter Waldflächen, oder die verstärkte Ressourcenausbeutung, und zwar vor allem von Land und Wasser. Man darf nicht vergessen, dass sich in Nicaragua mehr als 10% der weltweiten Biodiversität befindet. In dem Abkommen fehlen außerdem Standards für eine „nachhaltige Entwicklung“, wie die Stärkung rechtlicher Rahmenbedingungen und staatlicher Institutionen.

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