AGROKRAFTSTOFFE: DIE SCHWEREN FOLGEN DES ENERGIEPFLANZEN-BOOMS

Jan Urhahn (INKOTA-Netzwerk)

Auf dem gesamten Erdball findet gegenwärtig eine hemmungslose Jagd nach Acker- und Weideland statt: Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern kaufen oder pachten immer mehr Investoren und Staatskonzerne aus dem globalen Norden (und zunehmend auch aus dem Süden) riesige Flächen fruchtbaren Bodens. Neben dem Anbau von Nahrungsmitteln für den Export und zu reinen Spekulationszwecken nutzen viele das Land, um Pflanzen wie Zuckerrohr, Mais, Palmöl oder Soja zu kultivieren. Der Grund: Sie wollen vom Durst nach Agrosprit im globalen Norden profitieren, denn dieser Kraftstoff wird aus den Energiepflanzen hergestellt.

Die rasant steigende Nachfrage nach Energiepflanzen hat politische Ursachen. Als Ersatz für das zur Neige gehende Öl werden Kraftstoffe aus Biomasse als nachhaltige Alternative propagiert. In der EU soll der Anteil erneuerbarer Energien im Verkehrssektor bis zum Jahr 2020 auf insgesamt 10 % erhöht werden. Die Beimischungsquote von Agrosprit im Benzin oder Diesel liegt in Deutschland aktuell bei 6,25 Prozent. Würde das EU-Ziel weltweit eingeführt und der 10 % -Anteil allein durch Kraftstoffe aus Ackerpflanzen gedeckt, dann würden 25 % der globalen Ernte im Tank und nicht auf dem Teller landen. Diese Strategie hat fatale Folgen, die vor allem außerhalb der EU spürbar werden:

Klimawandel: Der Nutzen von Agrokraftstoffen für den Klimaschutz ist mehr als fraglich. Da die Flächen in der EU zum Anbau der Energiepflanzen nicht ausreichen werden, wächst der Flächenbedarf in anderen Teilen der Welt rasant. Um den EU-Agrospritbedarf im Jahr 2020 zu decken, wäre eine Anbaufläche notwendig, die fast der Größe Deutschlands entspricht. In vielen Ländern des globalen Südens entstehen neue Plantagen, die agrarindustriell unter hohem Einsatz von Maschinen und Energie bewirtschaftet werden. Zudem geht die Kultivierung von Energiepflanzen zu Lasten der Flächen, die für die Nahrungsmittelproduktion benötigt werden. In der Konsequenz wird der Anbau von Lebensmitteln auf Wald- oder Weideflächen verlagert, wodurch Ökosysteme zerstört und vermehrt Treibhausgase freigesetzt werden.

Gesundheit der Plantagenarbeiter_innen und der lokalen Bevölkerung: Die neu entstandenen Großplantagen werden monokulturell mit hohem Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden und Herbiziden betrieben. Um eine hohe Produktivität zu garantieren, kommen teilweise Chemiecocktails mit bis zu 26 Pestiziden zum Einsatz, die flächendeckend von Flugzeugen oder von großen Besprühungsanlagen aufgebracht werden. Die Folgen für die Plantagenarbeiter_innen und die in der Nähe der Felder lebenden Familien sind bestürzend: Niereninsuffizienz in den Zuckerrohrplantagen oder Leukämie in der Sojaproduktion sind nur die bekanntesten Fälle.

Preise für Nahrungsmittel: Der Agrokraftstoffboom ist eine Ursache für die weltweite Verknappung, steigende Nachfrage und Verteuerung wichtiger Grundnahrungsmittel. Schon heute werden mehr als 20 % der globalen Zuckerrohrproduktion zur Herstellung von Agrokraftstoffen verwendet –Tendenz steigend. Daneben tragen auch die Folgen des Klimawandels, die zunehmende Nachfrage nach Fleisch und die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu steigenden und schwankenden Preisen für Essen bei. Diese Entwicklungen stellen immer mehr Menschen im globalen Süden vor große Probleme. Insbesondere Länder, die von Nahrungsmittelimporten – und damit von Weltmarktpreisen – abhängig sind, beziehungsweise es durch globale Entwicklungen werden, haben zu kämpfen. Viele Menschen können sich ihr Essen kaum noch leisten, das Hungerrisiko steigt.

Landgrabbing und Zugang zu Land: Fruchtbares Land ist ein knappes Gut. Der Zugang zu und die Kontrolle über die Ressource Land ist für viele Menschen in Ländern des globalen Südens eine Frage des Überlebens. Beim Landgrabbing nehmen Investor_innen Land in Besitz oder unter ihre Kontrolle. In vielen Fällen ignorieren die „Land Grabber“ die Rechte und Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung, die zuvor von dem Land lebten. Im letzten Jahrzehnt wurden auf mehr als 60 % der neu gekauften und verpachteten Landflächen Pflanzen angebaut, die für die Agrospritproduktion genutzt werden können. In Nicaragua hat sich die Fläche zum Anbau von Zuckerrohr in nur einem Jahr um zehn Prozent erhöht.Damit ist Agrosprit der Landgrabbing-Treiber Nummer eins. Die Landgeschäfte gehen häufig mit Vertreibungen und systematischen Missachtungen der Menschenrechte der lokalen Gemeinschaften einher. In Honduras wollen sich Palmölkonzerne mit brutalen Methoden neue Anbauflächen aneignen. Allein in den letzten Jahren wurden 88 Kleinbäuer_innen, Gewerkschaftsvertreter_innen und Rechtsanwält_innen ermordet, die sich für den Landbesitz von Kleinbäuer_innen engagierten. Der gesicherte Zugang zu Land und grundlegenden natürlichen Ressourcen wie Wasser sind der Schlüssel zur Überwindung von Armut und Hunger in den ländlichen Regionen vieler Länder.

Dabei ist zuerst die Bundesregierung gefragt: Um Landgrabbing und den Agrospritwahnsinn zu beenden, sollte sie in einem ersten Schritt die politischen Ziele zur Beimischung aussetzen und für den Import von Energiepflanzen ein Moratorium verhängen. Generell gilt: Das Recht auf Nahrung und die Gesundheit der Produzent_innen müssen Vorrang vor den Profitinteressen von Unternehmen und nationalen Eliten haben. Bevor Land verpachtet oder verkauft wird, müssen Untersuchungen zu den ökologischen und sozialen Folgen durchgeführt werden, und zwar gemeinsam mit den lokalen Gemeinden. Dabei sollten auch indirekte Landnutzungseffekte, die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energiepflanzenproduktion sowie die Einhaltung von Sozialstandards und der Gesundheitsschutz verpflichtend berücksichtigt werden.

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