Zucker, Nieren und Menschenrechte

Zum letzten Mal bin ich unterwegs in Chinandega und El Viejo.
Bis zum Einsetzen der Regenzeit läuft hier die Ernte auf Hochtouren. Allein das Ingenio Sta. Rosa Pantaleon verarbeitet täglich die enorme Menge von 15.000 Tonnen in einem vollautomatisiertem Betrieb, den ich überraschenderweise besuchen konnte. D. Jimenez, die Verantwortliche für die sogenannten recursos humanos (Humanressourcen), antwortete auf meine Anfrage wegen eines direkten Kontaktes. Wir treffen uns im klimatisierten Büro des Zuckerrohr verarbeitenden Betriebes das zum guatemeltekischen Konzern Pantaleon gehört. Doch davon später.

In einer völlig anderen Welt bewegen sich die Erntearbeiter, die noch nicht von den Erntemaschinen (70% der Erntemenge) abgelöst wurden. José*, 22 Jahre, schlägt von 6 Uhr bis 16 Uhr Zuckerrohr im Akkord. Sein Lohn 34 Cordoba, oder umgerechnet 1 Dollar 30 pro geschlagene und verladene Tonne. Er arbeitet nicht direkt bei Pantaleon, sondern bei einem der Subunternehmer, die ihre Kontrakte nur für die Erntezeit schließen. Die Arbeiter sind meist nicht sozialversichert und tragen ein enormes Risiko an der chronischen Niereninsuffizienz zu erkranken. Immerhin hat er eine Schutzbrille und einen Wasserkanister bei sich. Die nötigen Elektrolyte wurden ihm nicht ausgegeben.

Die extreme körperlicher Anstrengung bei mörderischer Hitze bei in einem abgeflammten Zuckerrohrfeld, das von einer Rußschicht überzogen ist, kann man sich schwer vorstellen. Rußpartikel werden beim Schlagen des Zuckerrohrs aufgewirbelt. In der gebückten Haltung ist Jose dem Staub ausgesetzt und müsste eigentlich noch eine Maske tragen. Nach einem Kurzinterview in fünf Minuten auf offenem Feld flüchte ich mich wieder in das Fahrzeug und besuche die erste Fortbildungsveranstaltung, die das Nicaragua-Forum Heidelberg mit Unterstützung des Vereins Mannheim-El Viejo und Medico inernational finanziert. Diese Reihe von Veranstaltungen finden für die Erkrankten und ihre Familienmitglieder in der „casa de la mujer“ in El Viejo statt.

Auf dem Pogramm stehen heute die Ursachen der Nierenerkrankung/insufizienz, die Behandlung mit der sogenannten Peridualdialyse, die Rolle einer gesunden Ernährung und
eine Grundschulung über die Bedeutung der Menschenrechte.
Viel Stoff für die 30 Teilnehmer, die dazu eingeladen sind. Die einzelnen Themen werden von der Ärztin, der Psychologin und der Rechtsanwältin des Frauenzentrums, die das Nicaragua-Forum finanziert, dargeboten. Die Thematisierung der Menschenrechte löst eine ganze Reihe von Nachfragen aus.
„Wen können wir für die Verschmutzung unseres Brunnenwassers verantwortlich machen?
Wo klagen wir unsere Verluste ein, wen wieder einmal nach einem Sprüheinsatz der Flugzeuge die Mangos und Avocados unreif vom Baum fallen“ und natürlich: „Was soll werden wenn unsere Männer und Söhne sterben?“

D. Jimenez vom Konzern PANTALEON lehnt jede direkte Verantwortung für die Erkrankung ab, an der schon mehr als 9 000 Menschen in Nicaragua gestorben sind. Wir kümmern uns um unsere Arbeiter und haben hier eine Klinik auf dem Gelände, um die Arbeiter zu behandeln. Natürlich müssen die Arbeiter, wenn sie erkranken ihre Arbeit hier beenden. Das sind wir ihnen schuldig. Wir können aber nicht die ganze Region hier mit medizinischen Programmen und einer Trinkwasserversorgung bedienen. Wir sind also nicht verantwortlich wenn die Brunnen trocken fallen, das kommt vom Klimawandel. Wir arbeiten nachhaltig im wirtschaftlichen, wie im sozialen Bereich. Was sie verschweigt: Die Behandlung der erkrankte und entlassenen Arbeiter, sowie die des Subunternehmers obliegt dann dem staatlichen Gesundheitssystem.

Wie absurd, dass die Menschen hier in den Feldern das verschmutze Wasser aus 5-7m Tiefe benutzen müssen, während das Unternehmen das Wasser zur Bewässerung aus einer Tiefe von 20-50 aus einem Wassersystem entnimmt, das bislang nicht belastet ist. Eine Untersuchung des Wassers aus Pestizide und Kunstdünger könne nur die nationale Wasserbehörde ANA vornehmen. Eigene Untersuchungen seien verboten, meint Senora Jimenez. Eines der typischen Argumente, wenn es um die Forderung nach Untersuchung des Wassers und der Umweltbelastung der Region geht.

Zurück zur Fortbildung: Das abschließende Essen soll ein Beispiel sein, wie sich die Erkrankten gesund ernähren und die noch Gesunden schützen können: Keine der so beliebten zuckerhaltigen Getränke, sondern Fruchtsäfte, möglichst wenig Salz, kein rotes Fleisch, sondern Hühnchen oder Fisch, viel Gemüse und jede Menge Wasser, sauberes natürlich. Bleibt die Frage, wie sich die Menschen in den Zuckerrohrfeldern das leisten und beschaffen können.

Ein Hühner- und Schweinezuchtprojekt, das wir derzeit finanzieren und das die Einkünfte der Familien verbessern soll, könnte ein Anfang sein. Einen großen Erfolg haben aber auch Alvaro von ASOTRAIRC und seine Leute mit dem erfolgreichen Kampf um die Finanzierung einer Nähkooperative durch Pantaleon erreicht. Deren Stiftung schafft 30 Arbeitsplätze zur Fertigung von Schutzkleidung für die Erntearbeiter. Profitieren sollen alle 400 Familien der Erkrankten und Verstorbenen durch eine Beteiligung an den Gewinnen. Bleibt zu hoffen, dass es denn welche gibt! Doch auch dieser Erfolg fiel nicht vom Himmel. Hartnäckige Verhandlungen, Blockaden des Betriebs und letztendlich ein runder Tisch mit Regierung, Betrieb und Kirche haben zum Erfolg geführt.

Das grundsätzliche Problem ist damit aber nicht aus der Welt geschafft. Jeden Tag erkranken junge Arbeiter zwischen 20 und 30 Jahren und das örtliche Gesundheitszentrum hat noch nicht einmal die Mittel für die Untersuchung des Kreatininwertes, der ein Indiz für die chronische Niereninsuffizienz darstellt!
Die Arbeit hier ist noch lange nicht beendet. Die Suche nach Finanzierung der Medikamente kann aber nicht weiter im Zentrum unserer Arbeit stehen.
Letztendlich kann nur Prävention die Lösung sein!

Prävention heißt aber auch Veränderung der Arbeitskonditionen, Verbot der krankmachenden Spitzmittel, Lösung des Wasserproblems und Schutz durch eine gesunde Ernährung, die schon bei den Kindern anfangen muss. Die Unternehmen müssen Ihre Verantwortung übernehmen. Wir werden uns um ein präventives Konzept bemühen, das die Ursachen der Erkrankung nicht individualisiert! Neuerkrankte Arbeiter/innen müssen eine Anlaufstelle haben, die sie berät und betreut. Alle die mithelfen wollen sind eingeladen!

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